Bevor man einen Missbrauch angreift, sehe man, ob man nicht seine Grundlagen beseitigen kann.

Luc de Clapiers

Schriftsteller/ Moralist, Marquis de Vauvenargues


Therapie-, Coaching- & Beratungs-Schaden

Emotionaler therapeutischer MissbrauchNarzisstische Schattenseiten in Beratung, Coaching, Therapie und Pädagogik


Emotionaler Therapeutischer MissbrauchEmotionaler therapeutischer Missbrauch in Beratung, Coaching, Therapie und Pädagogik ist sicherlich ein Schatten- und Tabuthema. Nichts desto trotz haben unsere Erfahrungen mit Klienten, Kursteilnehmern und Kollegen gezeigt, dass es als Fachperson wichtig ist, sich diesem Komplex zu stellen, genauso wie es notwendig ist auch die Betroffenen darüber aufzuklären, dass ihre deutliche Verschlechterung/ (Re-)Traumatisierung, Beschämung, Ohnmacht, Wut, Angst, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Verwirrung und Orientierungslosigkeit oder erstarrte Krisen-Situation nicht (nur) an ihnen, sondern mitunter auch am beraterisch-therapeutischen Setting, an der Grundhaltung des Coaches/ Beraters/ Therapeuten und an der methodischen Vorgehensweise liegt. Wenn dort sogar die Ursache oder der Ursprung zu finden ist, sprechen wir von emotionalem therapeutischen Missbrauch. Damit ist gemeint, dass eine “Fachperson” – also ein Experte aus sämtlichen Beratungskontexten, die eine starke zwischenmenschliche Beziehungsebene mit sich bringen und Übertragungen entsprechend begünstigen -, die eigenen Defizite und Grenzen nicht kennt,  diese Defizite aber möglicherweise subtil wahrnimmt und reaktiv sich narzisstisch mit Hilfe der Bedürftigkeit ihres Klientels, selbst aufwertet. Derartige Mechanismen kann es freilich in jedem Menschen geben. Ein beraterisch-therapeutischer Expertenstatus zeichnet sich jedoch v.a. durch eine bewusste Objektivierung dieser Dynamiken aus. Menschen die nicht bereit sind, sich eigene Schattenthemen supervisorisch zu stellen und denen es auch an einer entsprechenden, mehrjährigen therapeutischen Grundausbildung (inkl. Eigentherapie) fehlt, neigen anscheinend zum besagten therapeutischen Narzissmus, welcher Phänomene und Strukturen des emotionalen therapeutischen Missbrauchs begünstigt.  Eigene erlebte Defizite werden dabei auf den Klienten übertragen oder mit Techniken und Verfahren zugedeckt, welche mitunter in einem guten Kontakt und Rapport auch Sinn gemacht hätten, in der Form nicht oder schlimmstenfalls nachteilige Auswirkungen haben können. Dabei übersieht die “Fachperson” häufig die Aspekte von “Übertragung” und “Gegenübertragung” v.a. auch in Hinblick auf den Aspekt des “Helfens”.

Emotionaler therapeutischer Missbrauch – erste generelle Anzeichen können sein: 

  • Mangelhafte Auftragsklärung/ -annahme
  • Heilsversprechen und Überidealisierung der eigenen Methodik
  • Eher der eigenen Methodik als dem Gegenüber/ Prozess “verpflichtet”
  • Bewusste Überschreitung persönlicher/ fachlicher Kompetenzen und Grenzen
  • Nachteilige und unklare Wechsel von “Personenzentriertheit” zu “Methodenzentriertheit”
  • Würde-/ Autonomieverletzung des Klienten, bspw, auch durch Sarkasmus oder eine herablassende Haltung
  • Bewusstes Lügen & Vorenthalten von Informationen in Bezug auf eigene Ausbildungszeiten/ Qualifikationen/ Erfolgsquoten etc.
  • Klient wird nicht als “Experte” für sich selbst wahrgenommen und daher keine partizipative Entscheidungsfindung
  • Eigene Krankheitsbewältigungsstrategien werden als Universallösung für den Klienten favorisiert/ “verkauft”
  • Ablehnung bzw. Bagatellisierung der Anliegen, Erfahrungen, Gefühle und Bedürfnisse des Klienten
  • Labeling, Stigmatisierung und dogmatische Zuschreibungen bspw. “Krankheitsparadigma”
  • Generelle Dominanz- und Kontrollversuche sowie psychische Manipulation
  • Bewusst-manipulative o. unbewusste Erzeugung eines “False Memory Syndrom”
  • Gegenübertragungen seitens der “Fachperson” werden nicht erkannt
  • “Wenn-nicht-dann-Drohungen”/ Propheterien/ Patriarchale Dominanz
  • Missbrauch des Klienten als emotionalen Mülleimer und Ablassventil
  • Vermischung professioneller und privater Angebote/ Interessen
  • Transpersonale Erfahrungen & spirituelle Krisenaspekte werden pathologisiert
  • Kollektive/ Archetypische Erfahrungen werden rein individualpsychologisch interpretiert
  • Transgenerationale Aspekte werden rein auf die Lebensbiographie beschränkt
  • Randthemen wie bspw. “Hochsensibilität” werden nicht ernst genommen
  • Klient geht es zusehends schlechter – er fühlt sich abhängig
  • Minderwertigkeitsgefühle und Ohnmacht verstärken sich
  • Weitere Infos im Tattva-Viveka-Artikel >>

Ausbildung, Lehrer, Mentoren von jörg FuhrmannMöglicherweise gilt es hier die “Philosophie zur Ausbildung der Lehrer (und aller anderen Fachleute)” des Psychiaters und Bewusstseinsforschers Dr. Claudio Naranjo – einer meiner für mich wichtigsten Ausbilder, welcher kürzlich ebenfalls für den Friedensnobelpreis nominiert worden ist – wieder aufzugreifen (Video >>). Claudio hat ein tiefgreifendes, persönliches Transformationsprogramm “SAT” entwickelt, welches quasi mit dem Tabu bricht, dass Pädagogik und Psychotherapie nicht miteinander in Verbindung gebracht werden dürfen – obgeleich genau dies heutzutage eben fortwährend geschieht. Leider geschieht dies häufig eben nicht, durch therapeutisch entsprechend geschultes Personal, sondern oftmals durch Pädagogen, Erzieher, Coaches, Heilpraktiker (für Psychotherapie) und auch Psychologen ohne umfassende, mehrjährige therapeutische Ausbildung, Selbsterfahrung, Eigentherapie, Supervision.

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Professionelle AusbildungWie ich aus Supervisionen mit Kollegen erfahren habe und es natürlich auch von mir selber weiß, werden häufig viel zu große Hoffnungen an neue, therapeutische Methoden und Verfahren geknüpft, die beinahe in das “magische Denken” hineinreichen – emotionaler therapeutischer Missbrauch nutzt u.a. diese Denkungsart als einen elementaren “Brennstoff”. Man merkt ja mitunter selbst, dass mit Methode A und Technik B einem bestimmten Thema oder Prozess nicht beizukommen ist, doch weil man dann die darin enthaltene Hilflosigkeit und Ohnmacht nicht aushält, sucht man nach einer neuen Wunderwaffe, welche der Markt oftmals auch sogleich bereit stellt – man bedenke, dass das psychologische Feld aktuell auf 600 Richtungen/ Verfahren geschätzt wird. Doch meist wird das “Problem” dadurch nicht behoben, denn wie Carl Rogers schon wusste, sind es nicht die Worte die Heilen, sondern die Haltung und im gestalttherapeutischen Sinne die Achtsamkeit, Wertschätzung und der Kontakt. Für letzteres bedarf es aber eben einer entsprechend umfassenden Ausbildung und Eigenarbeit an den eigenen Themen, was logischerweise auch eine Entscheidung für einen lebenslangen Entwicklungsweg sein sollte. Denn schließlich ist auch ein Therapeut mit einer Ausbildung nicht fertig. Dann gäbe es zumindest eine gute Grundlage wie emotionaler therapeutischer Missbrauch in der Therapie und Beratung reduziert werden könnte.

Quellen & Literatur: Emotionaler therapeutischer Missbrauch:

Baldus, Marion, 2011, Sexueller Missbrauch in Pädagogischen Kontexten: Faktoren. Interventionen. Perspektiven, VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Bienenstein, Stefan/ Rother, Mathias, 2009, Fehler in der Psychotherapie: Theorie, Beispiele und Lösungsansätze für die Praxis, Springer.

Gruen, Arno, 2000, Der Fremde in uns, dtv.

Heyne, Claudia, 1991, Tatort Coach – Sexueller Mißbrauch in der Therapie, Kreuz

Linden, Michael, 2012, Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie: Erfassung, Bewältigung, Risikovermeidung, MWV.

Miller, Martin, 2013, Das wahre „Drama des begabten Kindes“ – Die Tragödie Alice Millers – Wie verdrängte Kriegstraumata in der Familie wirken, Kreuz.

Petzold, Hilarion/ Märtens, Michael, 2002, Therapieschäden: Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie, Matthias-Grünewald.

Röhr, Heinz-Peter, 1998, Sexueller und emotionaler Mißbrauch, dtv.

Schmidt-Lellek, Christoph/ Heimannsberg, Barbara, 1995, Macht und Machtmissbrauch in der Psychotherapie, EHP.

Schmidtbauer, Wolfgang, 2006, Hilflose Helfer -Über die seelische Problematik helfender Berufe, Rowohlt.

Tempelmann, Inge, 2012, Geistlicher Missbrauch: Auswege aus frommer Gewalt – Ein Handbuch für Betroffene und Berater, Brockhaus.

Wilber, Ken/ Ecker, B./ Anthony, D., 1998, Meister, Gurus, Menschenfänger – Über die Integrität spiritueller Wege, Fischer.

© freiraum-Institut (FRI) (Artikel von Jörg Fuhrmann) – Teilen ausdrücklich erwünscht.Merken

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Jörg Fuhrmann

Jörg Fuhrmann

Leiter freiraum-Institut

Experte für Krisen, DeHypnose & veränderte Bewusstseinszustände

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