Wenn wir uns mit den Reaktionsweisen und Mustern beschäftigen, die unser Überleben in gefährlichen, vermeintlich gefährlichen oder stressreichen Situationen gewährleisten sollen, befinden wir uns dabei auf unterschiedlichen Ebenen: 1.) ANS/ Gesamtorganismus; 2.) Psychosoziales Umfeld; 3.) Art der Abspeicherung biographischer Erfahrungen (und die Verarbeitung derer); 4.) Wahrnehmung/ Neurozeption, Orientierung & Verhalten im Hier und Jetzt. Das autonome Nervensystem (ANS) erhält Informationen aus dem sozialen Umfeld, deutet diese aufgrund biographisch geprägter oder transgenerativ vorgeprägter Neurozeption und löst Bottop-Up entsprechende Impulse und Reaktionsweisen aus, die vor allem das Ziel verfolgen, unser Überleben mit möglichst wenig Energieaufwand zu sichern. Früher waren die Fachleute der Annahme, dass Autonome Nervensystem sei hauptsächlich für die Funktionalität der motorischen Nerven zuständig. Diese beeinflussen die Aktivität der inneren Organe, überwachen und steuern sie. Bei dieser einseitigen Betrachtungsweise ließ man jedwede sensorische Funktionen allerdings völlig außer acht, was zur Folge hatte, dass das alte Konzept vom Nervensystem die Reaktionsweisen in bedrohlichen Situationen von Säugetieren und Menschen nicht plausibel erklären konnte und im Grunde nur bis zur Evolutionsstufe der Reptilien als Modell funktionierte.
Ohne das ventrovagale System gäbe es weder Frieden noch Liebe.
Prof. Dr. Stephen W. Porges, dem man – aus Sicht vieler Therapeuten – eigentlich den Nobelpreis verleihen müsste, entdeckte einen dafür wesentlichen Mechanismus, welchen er 1994 in seiner „Polyvagaltheorie“ („poly“ = viele“) formulierte. Porges entdeckte, dass der Vagusnerv – bekannt auch als „wandernder oder umherschweifender Nerv“, da er so viele unterschiedliche Bereiche des Organismus eines Menschen/ Säugetieres innerviert – nicht, wie bis dato angenommen, aus nur einem Strang, sondern aus zwei Vagus-Ästen, einem ventralen (vorderseitig verlaufenden) Vagus und einem dorsalen (rückseitig verlaufenden) Vagus, besteht. Ferner entdeckte er, dass ventraler und dorsaler Vagus gänzlich unterschiedliche Funktionsweisen und Aufgaben besitzen, was bis dato nur schwer erklärbare Phänomene (v.a. im Bereich von Angst, Panik, Psychosomatik/ chronischer Schmerz, Stress, Traumafolgen, Überwältigung etc.) sehr verständlich werden lässt. Dies begriff als einer der ersten im Bereich der Psyche vermutlich Dr. Peter A. Levine, zu dessen Ansatz des Somatic Experiencing® (SE) eine enge Beziehung mit Stephen Porges Polyvagaltheorie besteht – um nicht zu sagen, dass zweitere eine wesentliche Säule für das „SE“ bildet, was wiederum Auswirkungen auf nachfolgende Ansätze, wie bspw. dem TRE®, SOMA-Embodiment®, Tuning-Board, NARM oder eben der Vagus-Aktivierung nach Stanles Rosenberg hatte. Stephen W. Porges selbst entwickelte, besonders für die Arbeit mit Autismus, ADS und Traumafolgen die SSP-Klangbehandlung, welche auch bei uns zur Anwendung kommt, und genau wie der diesbezüglich sehr sinnvolle Indextest zur Basisversorgung des Nervensystems mit maritimen Fetten, bereits an dieser Stelle beschrieben worden ist.
Der Vagus-Nerv unterstützt die Steuerung sehr vieler Körperfunktionen, die für die Erhaltung der Homöostase erforderlich sind, also für den Gleichgewichtszustand eines offenen dynamischen Systems.
Dr. Martin Seligman, ein Hauptvertreter der sogenannten „positiven Psychologie“, erkannte in seinen gruseligen Folterstudien mit Hunden, genau diesen Mechanismus. Doch er ging damit noch einen Schritt weiter als Iwan P. Pawlow, der eine ähnliche Entdeckung, während der Überflutung seines Leningrader Labors, als seine Versuchstiere um Haaresbreite beinahe durchweg in ihren Käfigen elendig ertrunken waren, machte, wie Seligman, welcher den Hunden absichtlich wiederholte Stromstöße ohne Fluchtmöglichkeit verabreichte, bis sie völlig kollabierten/ dekompensierten. Der damit verbundene Mechanismus des „Totstellens“ verläuft für Säugetiere – im Gegensatz zu Reptilien -, aufgrund des deutlichen größeren Herzens und dem damit verbundenen Blutflussbedarf, bei circa 20-25% tödlich. Gunther Schmidt und andere vermuteten 2007 bereits, dass der Herzinfarkt bei vielen Führungskräften und Top-Managern (zunehmend auch bei weiblichen Führungsrkäften) auf ähnliche Mechanismen zurückzuführen ist. Stanley Rosenberg spricht diesbezüglich auch von einer Folge eines „gebrochenen Herzens“ durch ungesundes Bonding und Anhaften, bzw. Abhängigsein, was im Falle einer finanziellen Abhängigkeit ebenfalls zutreffen würde und das grundsätzlich bei Schocks (wie bspw. Autounfällen, Stürzen oder Überfällen) eine Rolle spielen kann. Allerdings ist unklar, welcher Vagus das Herz innerviert und ob es nicht ggf. von beiden Strängen innerviert wird, was nach meinem Verständnis Sinn machen würde.
Wir haben es hier in der Tat mit einem echten Paradigmenwechsel in Therapie, Coaching, Beratung und Pädagogik zu tun (!) – nicht nur mit einem marketingtechnisch von irgend einer amerikanischen Wundermethode angepriesenen. Seltsamerweise sind sowohl Porges Polyvagaltheorie, als auch die Kenntnisse um den Vagus allgemein, bis dato – außer in den Fachkreisen der Körpertherapeuten, Kinesiologen und SE-Fachleuten – relativ unbekannt geblieben. Eine Abhilfe schaffte mitunter diesbezüglich der in Dänemark lebende Rolfer und Cranio-Sacraltherapeut Stanley Rosenberg, der selbst auf über 50 Jahre Erfahrung in Körpertherapie zurückblicken kann, mit seinem in 12 Sprachen übersetzen Buch „Accessing the Healing Power of the Vagus Nerve“. Unsere Kunden können unterschiedliche Vorgehensweisen zur ventralen Vagus-Aktivierung „am eigenen Leib“ im Rahmen unserer Intensivtage und Intensivwochen professionell erleben und anschließend für sich selbst zur täglichen Selbstregulation und Selbstermächtigung nutzen. Außerdem biete ich ein Vagus-Training, basierend auf unterschiedlichen Ansätzen, für Fachleute an, die Ihr methodisches Wissen und fachliches Hintergrundwissen erweitern möchten sowie für Privatpersonen, Geschäftsleute und Sportler die sich praktisch in die Vagus-Aktivierung vertiefen wollen.
Diese Seite dient der reinen Information zum Thema „Vagus-Aktivierung“. Für eine kassenfinanzierte „Traumatherapie“ wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder psychologischen Psychotherapeuten. Am freiraum-Institut bieten wir ausschließlich Persönlichkeitsentwicklung und Coaching zur Potenzialentfaltung an.
Leiter freiraum-Institut/ Therapeut/ Supervisor
Körper-Gestalttherapeut (EAP)/ Transpersonaler Therapeut (EUROTAS)/ Accessing the Vagus-Nerve-Training
Literatur:
Dana, Deb, 2018, Die Polyvagaltheorie in der Therapie – Den Rhythmus der Regulation nutzen, Probst
Grüber, Isa, 2017, Was der Körper zu sagen hat – Ganzheitlich gesund durch achtsames Spüren: Stress- und Traumabewältigung mit Somatic Experiencing (SE), Mankau
Habib, Navaz, 2019, Aktivieren Sie Ihren Vagusnerv – So stärken Sie Ihren Selbstheilungsnerv bei Darmproblemen, Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, Ängsten, Depressionen und innerer Unruhe, VAK
Levine, Peter, A., 2010, Sprache ohne Worte – Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt, Kösel
Porges, Stephen, W./ Dana, Deb, 2019, Klinische Anwendung der Polyvagaltheorie – Ein neues Verständnis des Autonomen Nervensystems und seiner Anwendung in der therapeutischen Praxis, Probst
Porges, Stephen, W., 2017, Die Polyvagaltheorie und die Suche nach Sicherheit, Probst
Porges, Stephen, W., 2010, Die Polyvagaltheorie – Neurophysiologische Grundlagen der Therapie, Junfermann
Rosenberg, Stanley, 2018, Der Selbstheilungsnerv – So bringt der Vagus-Nerv Psyche und Körper ins Gleichgewicht, VAK
Schnack, Gerd, 2012, Der Große Ruhe-Nerv – Sofort-Hilfe gegen Stress und Burnout, Herder
Van der Kolk, Bessel, 2015, Verkörperter Schrecken – Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann, Probst
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